Die Industrialisierung der Druckbranche schreitet voran, doch bis dato bildete die Weiterverarbeitung häufig noch die Ausnahme. Wir sprachen mit Dr. Markus Rall, Geschäftsführer der Polar-Group, über den Nutzen der Automatisierung speziell für kleinere Druckdienstleister, über Polars strategische Ausrichtung sowie neue Geschäftsmodelle für Druckereien rund um die Veredelung mit dem digitalen Laserschnitt.
Automatisierung und die damit einhergehende Effizienzsteigerung innerhalb der Produktion sind derzeit die meist diskutierten Themen unserer Branche. Wie kommt Polar dem Bedürfnis nach mehr Automation und Rüstzeitminimierungen nach?
Das Thema Rüstzeitverkürzung ist in den letzten Jahren das vorherrschende Thema im Drucksaal gewesen. Der Clou ist jedoch: In der Weiterverarbeitung stellte die Rüstzeit einen nicht nennenswerten Faktor dar, weil sie an diesem Punkt in den meisten Betrieben schlichtweg kaum einen interessiert hat. In der Praxis sieht es häufig noch so aus, dass die Rüstzeiten an dieser Stelle des Produktionsprozesses meist gar nicht gemessen werden. Wir sind mit unserem Equipment in der Lage, beispielsweise eine Schneidemaschine auf eine Rüstzeit von Null zu bringen, doch das ist vielfach nur ein theoretischer Wert. Denn was nutzt der Automatisierungsgrad und die hohe Performance eines Finishingsystems, wenn heute nach wie vor rund 80% der Anwender die jeweiligen Maße manuell eingeben und ihre Jobs aus alten Programmen importieren, die sie für ihren aktuellen Bedarf an-passen. Ein solches Vorgehen ist blanker Unsinn und heute vor allem vollkommen unnötig. Wir bieten mit Compucut eine Workflowlösung an, die es Anwendern erlaubt, die Daten unkompliziert auf die Maschine zu importieren und dort für eine fehlerfreie Produktion zu sorgen. Dieser Kreislauf ist so konzipiert, dass dabei Fehler von vorneherein ausgeschlossen sind und auch eine feste Schnittabfolge vorgegeben ist. Wenn in der Weiterverarbeitung dennoch Fehler entstehen, dann sind sie von vorne herein in der Vorstufe angelegt.
Wir kommen erst jetzt an den Punkt, an dem der Markt dies endlich auch auf breiter Ebene begreift. Die Online-drucker haben eindrucksvoll vorgelebt, wie eine effiziente Produktion aufgebaut und durchkonzeptioniert werden kann, und nun kommt der Nutzen auch bei den kleineren Dienstleistern an, und sie erkennen die Chancen, die ein in sich geschlossener Prozess und ein hoher Automatisierungsgrad ihnen bieten können. Und sie erkennen, dass dies nicht nur eine Option für die ganz großen Player im Markt ist. Die Industrialisierung der Druckindustrie ist endlich auch in der Weiterverarbeitung angekommen, und dies spiegelt sich auch in unseren Auftragsbüchern für alle drei Bereiche – Schneiden, Stanzen und Etiketten – wider. Wir verkaufen derzeit so viele Systeme, dass wir momentan Lieferzeiten von acht Monaten haben, und dies, obwohl wir hier seit 2017 bereits wieder deutlich Personal aufgestockt haben.
Polar hat in den vergangenen Jahren einige markante strategische Veränderungen vorgenommen und sein Geschäftsfeld deutlich erweitert. Inwieweit hat sich Ihr Geschäft aus heutiger Sicht verändert?
Zunächst einmal möchte ich betonen, dass die Druckindustrie nach wie vor unser Kernmarkt bleibt, auch wenn wir 2011 durch die Übernahme der Dienst Verpackungstechnik ein weiteres für uns sehr spannendes Standbein innerhalb der kontinuierlich wachsenden Verpackungsbranche gewonnen haben und seither noch breiter aufgestellt sind. Darüber hinaus haben wir uns vor knapp vier Jahren dazu entschieden, neben unseren Kernkompetenzen Schneiden und Stanzen unser Portfolio um den Laserschnitt zu erweitern. Mit dem digitalen Laserschnitt haben wir einen weiteren zukunftsträchtigen Markt betreten, der sicherlich noch ein hohes Potenzial bietet, denn mit Hilfe unserer Digicut-Syteme eröffnet sich für die Druckdienstleister ein großer und vor allen Dingen lukrativer Markt im Bereich der Veredelung, den es durch kreative Ideen nur zu nutzen gilt. Mit dieser Aufstellung hat sich Polar in meinen Augen optimal für die Zukunft positioniert.
Doch neben der Ausweitung unserer Geschäftsfelder hat sich etwas Weiteres entscheidend in unserem Geschäft verändert, und das ist unsere Rolle gegenüber unseren Kunden. Es kommt wesentlich häufiger vor, dass der Weg zu einem Produkt oder eine Lösung nicht darüber führt, dass wir etwas konzeptionieren und entwickeln, von dem wir überzeugt sind, dass dafür eine Nachfrage im Markt besteht, sondern Kunden treten aktiv an uns heran und fragen, ob wir eine spezielle Lösung für eine spezifische Anforderung anbieten können. Mitunter lautet dann die Antwort, dass wir das so noch nie gemacht haben, aber mit dem dafür erforderlichen Pioniergeist an diese Herausforderung herangehen. Das bedeutet, der Kunde zeigt, wie etwas konkret aussehen soll und dann wird dafür eine eigene Lösung entwickelt, wie wir das beispielsweise aktuell für den Web-to-Print-Bereich realisiert haben.
Entstanden ist so eine riesige Anlage mit vier 155er Schneidemaschinen, die ihren Input von der großformatigen 7B Druckmaschine erhält. Hier wird zuvor geslittet, bevor das Material dann über zwei Rüttler dem riesigen Schneidesystem zugeführt wird. In diesem System sind Greifer, die die ersten beiden Maschinen bestücken und Greifer, die die beiden hinteren Maschinen bestücken. Hierbei wird über eine entsprechende Logik abgefragt, welcher Maschine welche Lage zugeführt wird. Dazwischen sind selbstverständlich noch Puffersysteme installiert, falls es doch einmal eng werden sollte. Natürlich kann man jetzt sagen: Diese Lösung lässt sich in diesem großen Stil nicht häufig vertreiben, doch die Logik dieses Systems ist bestechend. Sie lässt sich natürlich auch entsprechend abgespeckt mit zwei Maschinen realisieren und wird so für einen breiteren Markt interessant. Denn das umgesetzte Volumen mag dabei geringer sein, doch die Logik bleibt bestehen und lässt sich einmal durchdacht und durchkonzeptioniert auf vielfältige Weise übertragen.
Lassen Sie uns noch einmal auf das digitale Laserschneiden zurückkommen. Haben Ihre Kunden den Zusatznutzen und den hohen Veredelungswert dieser Lösungen erkannt? Und wie gelingt es ihnen, dieses Potenzial gegenüber ihrem Klientel greifbar zu machen?
Ich denke, viele Kunden sind an uns herangetreten, um zunächst auch Kleinauflagen effizient und wirtschaftlich handhaben zu können und die eigene Weiterverarbeitung zu optimieren. Doch sie begreifen schnell, dass sich mit unseren Digicut-Systemen ganz neue Vertriebsmodelle und Aufträge realisieren lassen. Letztendlich profitieren sie natürlich alle von der großen Einsatzbreite unserer Laserschneider, die es ihnen so-wohl in der Digicut Eco als auch in der Digicut Plus Ausführung ermöglichen, in nur einem Durchgang ohne Werkzeugwechsel zu schneiden, zu perforieren, zu rillen, zu nuten und zu gravieren. Hierbei ist natürlich eine gewisse kreative Experimentierfreude entscheidend, um spannende neue Anwendungen entstehen zu lassen, die sich deutlich vom gängigen Angebot des übrigen Marktes abheben. Hier ist eindeutig ein wenig Pioniergeist gefragt. Sicherlich macht es hierbei Sinn, einige Anwendungen gezielt seinen Kun-den mit an die Hand zu geben. Dies halten wir so mit unseren Kunden und ich denke, unsere Kunden sollten ähnlich gegenüber ihrem Klientel agieren. Manche Applikationen müssen einfach „greifbar“ werden, um eine entsprechende Vorstellung davon zu entwickeln. Aus diesem Grund haben wir beispielsweise auch im Vorfeld der Hunkeler Innovationdays Booklets “on-the-fly” lasern lassen, um zu zeigen, dass wir mit der Digicut Plus nicht nur in der Lage sind, einzelne Bogen, sondern auch ganze Booklets zu bearbeiten. Dabei sind Produktionen von einem bis zu tausenden Exemplaren möglich.Dies ist von großem Interesse für unsere Kunden, da die Bearbeitung und die Individualisierung mittlerer Auflagen insbesondere im Digitaldruck immer relevanter werden. Hinsichtlich der Formgebung gibt es fast keine Grenzen. Es lassen sich filigranste Motive realisieren, die mit klassischen Stanzwerkzeugen nicht möglich wären. Im Vorfeld der Hunkeler Innovation Days haben wir die Probe aufs Exempel erfolgreich durchgeführt und Booklets personalisiert.
Herr Dr. Rall, wir danken Ihnen vielmals für das interessante Gespräch!
Quelle: World of Print | 5/2019 | www.worldofprint.de
Mai 2019